Im Spiegel der vorvorletzten Woche war eine Titelstory zum Thema Freiheit, Kontrolle und Recht im Internet mit dem griffigen Titel “Netz ohne Gesetz” (man beachte den beinahe lyrischen Ansatz, auch wenn’s faktisch falsch ist). Die Prämisse ist also in drei Worten formuliert und sie wird noch weiter aufgebaut. Das Netz wird charakterisiert als “Parallelwelt” in dem “das Recht nichts wert sei”. Es werden Beispiele von Rufmord, Diffamierungen, käuflichen Blogeinträgen etc. versammelt, die es zweifellos so gibt, aber was beweist das schon? Das Netz ist so wenig Heilsbringer wie Apokalypse, es ist keine Parallelwelt, es ist die Welt – nur in digital. Alles, was man sich in der tatsächlichen (physischen) Realität vorstellen kann, findet auch im Internet statt. Diese Welt ist nicht virtuell, sie ist so real wie alles andere. Und das es dort keine Regeln gebe, ist deswegen schlichtweg falsch. Es sind andere Regeln und das Problem ist, das viele sie nicht kennen oder einhalten wollen. Dagegen muss man, das macht der Artikel auch zur zentralen Frage, durchaus etwas tun. Zustimmen muss man den Autoren dann auch, wenn sie feststellen, dass massive Aushandlungsprozesse in Gang sind: Welche Gesetze gelten im Netz? Wie setzt man sie durch? Wie schnappt man Täter, die sich überall auf der Welt befinden können?
Das ist natürlich irgendwie auch wieder typisch deutsch, dass man bei neuen Freiräumen erstmal fragt, wie man das kontrollieren kann. Wir leben nunmal in einem Land, in dem selbst das gemütliche Trinken eines Bieres auf öffentlichen Plätzen durch Verwaltung und Ordnungsamt reglementiert ist (just im Reality TV gesehen), in dem sich Nachbarn schon aus Gewohnheit vor Gericht treffen, wo jeder auf den Staat schimpft ohne zu merken, dass er selbst Staat ist und ja doch irgendwie auf dessen Regeln besteht. Der Staat (besonders der Regierungsapparat) ist wichtig, denn auch Datenschutz, der ebenfalls ein großes Problem im Internet ist, gibt’s nur per Gesetz. Das haben wir gerade wieder durch den Bericht über sogenannte Auskunfteien wie die SchuFa gesehen, Firmen steht das persönliche Recht auf die eigenen Daten eher im Weg. Im Moment ist der Staat, ja die gesamte Demokratie aber selbst in einer Art Identitätskrise (dazu später mehr).
Zentrales Problemkind sind natürlich die sogenannten Urheberrechte, die ja im Internet härter umkämpft sind als Ölquellen im Irak. Und die, so deutet man auch im Spiegel mit Verweis auf eine Rede von Reto Hilty (hier ein Interview), könnte durchaus dem Fortschritt im Weg stehen, weil sie Wissenfluß derzeit eher behindern als fördern. Und das ist in der sogenannten Wissensgesellschaft schon eine vitale Einschränkung. Dabei gibt es durchaus vernünftige Ansätze, wie man beispielsweise bei Larry Lessig oder Cory Doctorow immer wieder nachlesen kann, letzterer veröffentlich seine Romane zum Download unter Creative Commons-Lizenzen mit Derivatrecht und so entstehen Übersetzungen und sogar Hörbuchfassungen durch Dritte und stehen ebenfalls zum Download zur Verfügung. So sollte die Wissensgesellschaft funktionieren. Remixen, also das aufgreifen der Werke anderer in einem eigenständigen Werk, sollte z.B. für den privaten Gebrauch uneingeschränkt möglich sein. Wirkliche kommerzielle Nutzungen und damit verbundene Einschränkungen gibt es doch eigentlich nur zwischen Firmen. Warum muss ich als Privatperson trotzdem meterlangen Nutzungsbedingungen und Lizenzverträgen zustimmen, wenn ich mir ein Computerspiel kaufe oder Mitglied bei MySpace werde? Und auch für die Wissenschaft ist Copyright zunehmend problematisch, es führt beispielsweise dazu “[..], dass Forscher oft nicht genug Geld hätten, um die [Fach-]Zeitschriften zu abonnieren, in denen sie ihre eigenen, öffentlich finanzierten Ergebnisse publizieren.”
Als ein weiteres Problem wird die Einhaltung der Privatheit genannt. Gerade lief im Mittagprogramm der Privaten [ha, zwei Definitionen von privat, wie schön] wieder eine Pseudoreportage, wie leicht es doch wäre ‘private’ Informationen fremder Menschen aus Profilen bei StudiVZ, Facebook oder MySpace zu gewinnen. Alter, Freunde,Fotos, Job, Interessen und mehr kann man meist problemlos herauskriegen, jeder weiß, was du letzten Samstag getan hast. Die Lehre: Wir müssen aufpassen, was wir ins Netz einstellen.
Bullshit!!! Natürlich ist das leicht, das ist die Idee dieser sozialen Netzwerke. Einen der wenigen vernünftigen Beiträge zu diesem Thema liest man auf Spiegel Online unter dem Titel “Warum die Dummheit des Internets ein Segen ist“. Punkt 4: “Wir sollten aufhören, den Exhibitionismus anzuprangern, solange wir den Menschen schamlos und ohne jede Hemmung durchs Wohnzimmerfenster starren“. Und in der Tat, ich kann auch im Café, im Kino und auf der Strasse Menschen belauschen und private Details über sie erfahren. Ich arbeite ja auch in einem Buchladen und selbst dort erzählen die Menschen mir oft unaufgefordert viele private Details. Mich interessieren die eher selten, aber was wenn ich Böses im Schilde führen würde? Und so macht auch der Artikel eindeutig klar:
Wer bei Facebook, StudiVZ oder MySpace Bilder von sich ins Netz stellt, wer von der rauschenden Party am Vorabend berichtet, der ist in der Regel keineswegs “exhibitionistisch”, wie das in den vergangenen Jahren in nahezu jedem Artikel über die Jugend und das Netz zu lesen war. Die Leute, die da kommunizieren (denn nichts anderes geschieht dort), reden ja gar nicht mit Ihnen. Sondern mit ihren eigenen Freunden und Bekannten. Ihrem privaten Umfeld. Wenn im Park jemand auf einer Bank sitzt und seinem besten Freund Fotos von der Party gestern Abend zeigt, setzt man sich ja auch nicht daneben und glotzt.
Exakt. Also, liebe faule Redakteure und liebe neugierige Personalchefs: Finger weg von meinen privaten Profilen, was ihr wissen müßt steht bei xing und wenn das nicht reicht, ich komme gerne zum persönlichen Gespräch vorbei!
Nichtsdestotrotz schadet es natürlich auch nichts, wenn man auch die Privacy Funktionen der diversen Netzwerke kennt und nutzt. Andererseits würde es einem in der physischen Welt durchaus als Verfolgungswahn ausgelegt werden, wenn man keine Gespräche mehr an öffentlichen Orten führt und dafür immer alle Türen und Fenster schließt.
Zurück zum einleitenden Gedanken: Die Demokratie ist in der Krise oder wie Hans-Ulrich Jörges es formuliert: Das entmündigte Volk. Money Quote: “Deutschland hat ein Demokratiedefizit. Es ist nur noch Zuschauerdemokratie.” Und das Gefühl kann man durchaus bekommen, wenn man die im Artikel versammelten Beispiele liest und dann noch ein paar eigene Erinnerungen dazu wirft.
Meine Hoffnung ist darum, durch die Diskussion um das Netz die Karten neu verteilt werden, denn zumindest einige der offenbar schon etabliert geglaubten Regeln kommen wieder auf den Tisch und werden neu verhandelt. Sie mobilisieren sogar eine neue politische Gruppe. Insofern sind die Fragen, die das Internet aufwirft, möglicherweise wichtige Schritte in eine neue Welt mit neuen Regeln. Denn schon Albert Einstein wußte: ” The significant problems we have cannot be solved at the same level of thinking with which we created them.”