HD+ oder warum DRM immer noch nicht funktioniert

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Die Menschheit (abstrakter Begriff für Spezies) hat sich über die Jahrtausende ja durchaus beeindruckend weiterentwickelt, im Detail muss man jedoch feststellen, dass die Menschen (Summe aus Individuen) sich wiederholt als ebenso beeindruckend lernresistent erwiesen haben. Es gibt immer wieder Legenden, Mythen, Halbwahrheiten oder widerlegte Fakten, die sich über Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte am Leben erhalten und trotz besseren Wissens nicht tot zu kriegen sind.

In den Führungsetagen der großen Medienunternehmen halten sich zwei Mythen scheinbar seit mehr als einem Jahrzehnt mit Vehemenz:

  1. “Piracy” oder Raubkopieren – also das Verbreiten digitaler Medien ohne Berücksichtigung des Urheberrechts – ist ein – wenn nicht gar DAS – Problem für die Monetarisierung von “Content” (abstrakter Begriff für Medienprodukte, die man verkaufen will)
  2. “Digitales Rechtemanagement” (kurz DRM) ist eine wirkungsvolle Waffe gegen “Piracy”, weil sie dem Rechteinhaber weitgehend die Kontrolle über seinen Content ermöglicht und verhindert, dass illegal getauscht wird

Es gibt zahlreiche gute und kluge Darlegungen, warum beides in der Tat Mythen sind (z.B. hier, hier, hier und hier). Darum nur eine kurze Zusammenfassung:

  • Es gibt kaum verlässliche Erhebungen zum Raubkopieren, oft wird der Schaden einfach mit Raubkopien x Einzelpreis = Schaden berechnet. Dabei ist höchst zweifelhaft, ob jede verhinderte Raubkopie zu einem legalen Verkauf führen würde. Das relativiert jegliche Angaben zum entstandenen Schaden. Durchaus entstehender Nutzen (z.B. in Form von Aufmerksamkeit und erhöhter Verbreitung z.B. in Märkte, die sonst gar nicht erreicht werden könnten) wird großzügig ausgeblendet.
  • Raubkopieren wird mit Stehlen gleichgesetzt – obwohl tatsächlich ja nicht ein Objekt jemandem entwendet wird (es entsteht nur eine Kopie) und lediglich verhindert wird, dass jemand sein Geld dafür bekommt. Dass kann man verwerflich finden, aber ja noch lange nicht Stehlen nennen. Oder?
  • DRM ist immer ein technisches System, das per Definition nie unverletzlich sein kann (weil z.B. immer ein Schlüssel in der Öffentlichkeit landet, man also die Geheimsoße nie geheim halten kann). Diese Systeme werden immer umgangen werden können. Schnell, einfach, endkundenfreundlich meist noch vor Veröffentlichung.
  • DRM verhindert das Tauschen und Verleihen. Große Sache? Ganz große Sache! Wenn ihr überlegt, welche Musik, Filme, Bücher etc. ihr mögt und warum, werdet ihr meist darauf stoßen, dass ihr über Freunde, Bekannte etc. darauf gestoßen seid. Tonband, Mixtapes, Mix-CDs, Bücherverleih usw. sind für Kultur essentiell. Das gilt auch für digitale Medien, wenn sie als Kulturtechnik genutzt werden wollen. Und noch nie zuvor war es einfacher zu tauschen, kopieren und vervielfältigen.
  • Viele Medienunternehmen haben den digitalen Trend verschlafen und vertuschen ihre Unfähigkeit zur Kundenorientierung jetzt, indem sie die verlorene Kundschaft kriminalisieren, die einfach zum besseren Anbieter abgewandert ist. Vor iTunes und musicload (mit freien MP3s) war nun mal nur Kazaa, Napster oder “The Pirate Bay”.
  • Oft wird argumentiert, kostenloses Kopieren schade dem Künstler, Autoren etc. Monetär ist das möglich, aber auch nicht sicher und quantifizierbar (siehe ersten Stichpunkt). Was die Verbreitung angeht, so sollte jeder Hersteller daran interessiert sein, eine möglichst hohe zu erreichen. Das ist auf dem digitalen Wege und mit angemessen niedrigen Preisen natürlich viel eher möglich. Wie die Musikindustrie gezeigt hat.

Die Unverbesserlichen

Einige Medienunternehmen haben die Sache schon durchschaut. So wird Musik schon lange ‘ungeschützt’ z.B. bei Amazon, musicload und iTunes angeboten. Bei Filmen sieht es noch schlecht aus, die großen E-Buch-Anbieter nutzen mächtige DRM-Systeme, die sogar das nachträgliche Löschen gekaufter Bücher ermöglichen. Und die Fernsehlandschaft hat aus dem Versagen der anderen auch nichts gelernt. Ihr Wundermittel heißt CI+ oder – wie gerade prominent von den deutschen Privatsendern präsentiert - HD+.

Die Bezeichnung suggeriert ein ‘mehr’ für den Konsumenten, tatsächlich sind die +-Systeme nichts anderes als DRM und damit lediglich für all die interessant, die in der Verwertungskette vor dem Endkunden kommen. Ich spare mir die umständliche Erklärung, was HD+ im Einzelnen alles zu tun vermag und platziere stattdessen ein populäres YouTube-Video zum Thema.

Nicht nur, dass man also  mit HD+ an der Nutzung des Fernsehsignals im vollen technischen Umfang seiner Ausrüstung gehindert wird (z.B. TimeShift), man soll ein schon durch Werbung finanziertes Programm und dessen Bearbeitung mit DRM (was sicher auch Geld kostet) auch noch selbst bezahlen. Hmm.

Nun, wir wollen den unbelehrbaren Executives nicht den Versuch verwehren, immerhin hat man sich sogar  mittels der scharfen Argumente von Sonya Kraus redlich bemüht, nicht auf diese Nachteile hinzuweisen. Es steht außerdem jedem Nutzer frei, das Angebot unter Berücksichtigung aller Fakten zu beurteilen und trotzdem für gut zu befinden. Dafür muss er aber alle Fakten kennen und kennen können. Den Kunden daran zu hindern ist das eigentlich Verwerfliche. Und hier sind Astra, RTL, ProSiebenSat1 etc. nicht allein, denn um hier keinen falschen Eindruck zu vermitteln: Apple, Microsoft,  Sony, Nintendo, Valve, Amazon und viele mehr nutzen DRM in ihren digitalen Vertriebssystemen. Sie mögen es anders nennen, trotzdem bleibt es DRM und eine Tatsache.

Tatsache ist aber auch, dass es nicht funktioniert, aus all den oben genannten und anderen Gründen. Was die Anbieter aber erreichen ist ein Generation von Mediennutzern heranzuziehen, die verstanden hat, dass es kein Problem ist, wenn man Inhalte, die man nutzen möchte, nicht legal zur Nutzung in vollem Umfang erwerben kann, weil es immer illegale Anbieter geben wird, die in die Bresche springen. Torrents von The Pirate Bay sind illegal, aber das einzige, was einem vordigitalen Produkt, das man frei nutzen, mitnehmen, tauschen oder verkaufen konnte ohne seine Identität nachzuweisen, annähernd nahe kommt. Zur weithin diagnostizierten Politikverdrossenheit gesellt sich so langsam eine Verdrossenheit gegenüber der traditionellen Medienindustrie. Und jeder anderen Industrie, wenn man kurz über den Tellerrand auf die regelmäßig auftretenden Probleme bei Nahrungsmitteln blicken möchte. Mangelnde Transparenz führt zu einemImageverlust, den sich eigentlich keine Firma leisten kann, wenn man dem Zittern und Zähneklappern Glauben schenken darf.

Was die Medienindustrie möglicherweise noch retten könnte, wäre die bedingungslose Akzeptanz der digitalen Plattform, die keinen Unterschied zwischen Original und Kopie kennt, keine nach Ländern oder Kontinenten gestaffelten Veröffentlichungsdaten, keine Bindung an Geräte, Software, Nutzer oder Ökosystem und keine sinnlosen juristischen Barrieren.
In vielleicht nicht mal 15 Jahren werden alle herzlich über die heutigen DRM-Scharmützel lachen, während sie fröhlich ihre Lieblingsserien, -filme, -spiele und -bücher aufzeichnen oder herunterladen, remixen und miteinander teilen während gleichzeitig kein Urheber, der gute Inhalte produziert, am Hungertuch nagen muss. Und sie werden es nicht “Piracy” oder Raubkopieren nennen, sondern schlicht Kultur.

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